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(Stand: 21.11.24, Adresse: http://www.grammiweb.de/informativ/kolumne/kolumne15.shtml)

 

"Jeder hat ein Recht auf meine Meinung"

Sein bevorzugtes Jagdrevier sind die unzähligen Foren im Internet, wo das possierliche Kerlchen munter seinem Treiben nachgeht: Der Homo Mundi Emendo, der gemeine Weltverbesserer, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Missionaren gleich seine Meinung zu verbreiten - und dies mit aller Vehemenz und bei vollem Einsatz, ohne dabei auf Verhältnismäßigkeiten oder die Realität zu achten.

Wenn Sie sich schon einmal mit Foren, Meinungsbrettern und dem Usenet auseinandergesetzt haben, sind Sie sicherlich auch schon mit Vertretern dieser weit verbreiteten Gattung in Kontakt gekommen. Sie nehmen jeden noch so geringen Anlass als Chance wahr, sich selbst zu produzieren und ihr Weltbild, so verquer es auch sein mag, zu verkünden. Egal, ob es nun sinnvoll ist oder nicht, ob ihre Ansichten gefragt sind oder man eigentlich etwas gänzlich anderes erfahren wollte, man kann sich ihrer Anschauung nicht entziehen.

Ein recht aktuelles Beispiel für das Missionierungsvorgehen des Weltverbesserers: In einem Beitrag wird nach Webseiten gefragt, die Statistiken und Standards beinhalten, die also Auskunft darüber geben, welche Bannergrößen offiziell vertretbar sind, welche Bildschirmauflösung zur Zeit oben auf dem Siegertreppchen steht und welcher Browser wohl gerade die binäre Nase vorne hat. An sich keine spektakuläre Frage, doch trotzdem zog sie einen Thread von vielen weiteren Beiträgen nach sich, in denen exzessiv darauf eingegangen wurde, dass jemand, der nach der aktuellen Verbreitung von Bildschirmauflösungen fragt, nur Böses im Sinn haben könne, da ja mit dieser Kenntnis Webseiten daraufhin optimiert werden könnten. Die Beteuerung des Fragenden, er interessiere sich nur für diese Daten, wolle sie aber nicht umsetzen, blieben ungehört, denn immerhin hatten die selbsternannten Missionare nun wieder eine Plattform gefunden, auf der sie ihre Meinung publizieren konnten: Schafft liquides Layout, optimiert nicht für Auflösungen! Für die Statistik: Beiträge: 11, Antworten auf die ursprüngliche Frage: 1.

Ein anderes, nahezu täglich aufkommendes Thema: Ein bis dato unbedarfter Teilnehmer bittet darum, seine gerade erstellten Seiten zu begutachten und die eigene Meinung dazu kund zu tun. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden wieder Heerscharen von Weltverbesserern nicht in Relation stehende Beiträge dazu verfassen, dass die Seite ja auf Tabellenbasis erstellt wurde, was beinahe so schlimm wie Framesets wäre, und dass der Fragende doch lieber auf CSS-Definitionen mit DIV-Containern ausweichen solle, da diese Layouttechnik nun wirklich wesentlich besser wäre - immerhin setzt man die ja auch auf den eigenen Referenzseiten ein (was, nebenbei bemerkt, nicht unbedingt zu deren Vorteil gereicht). Die Tatsache, dass die von ihnen als Vorbild genannten "immer die Nase vorn habenden" Amerikaner selbst zum Großteil auf Tabellenlayouts setzen (z. B. www.whitehouse.gov, www.amazon.com, www.microsoft.com, www.google.com und, das vor allem erwähnenswert, die Seiten des Usability-Gurus Jacob Nielsen: www.useit.com) , wird dabei dann gerne übersehen. Hauptsache, man konnte wieder der eigenen Affinität zu allem Neuen und der Gutgläubigkeit, alles, was irgendwo geschrieben steht, für sich als gegeben zu akzeptieren, frönen. Sicherlich machen CSS-Layouts Sinn, aber nicht in jedem Fall und nicht unter allen Umständen.

Ach ja, noch ein wesentlicher Beweggrund des Weltverbesserers, sein Werk zu tun: Der Ausdruck der persönlichen Individualität. So findet sich zu nahezu jedem Foreneintrag, der auf die Besonderheiten von Browsern eingeht (z. B. "Im Internet Explorer klappt's, aber der Mozilla verschiebt das Design"), mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Antwort, die etwa wie folgt formuliert sein wird: "Optimiere doch für Mozilla! Wer surft denn noch mit dem IE?". Nur für die Statistik: Laut letzter Studie nutzen etwa 96 Prozent derer, die einen Webbrowser benutzen, Microsofts Variante - aber das ist ja "uncool".

Übertragen in das reale Leben agiert der Weltverbesserer also zum Beispiel so: Frage: "Welcher Tag ist heute?" Antwort: "Wenn du keine Lust mehr hast, bis zum Wochenende zu warten, solltest du dir einen anderen Job suchen!". Wenig sinnvoll, oder?

Dies waren nur drei Beispiele, die vor allem eines veranschaulichen: Sicherlich ist es sinnvoll, eine eigene Meinung zu haben und diese auch zu vertreten. Dabei sollte aber immer darauf geachtet werden, dass diese Meinung auch halbwegs gefragt ist, denn es ist wenig hilfreich, auf eine Frage zwar eine Antwort, aber keine Lösung zu erhalten.


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